„Ich biete einen sicheren Hafen“
Dr. Carsten Thiel von Herff ist der Vertrauensanwalt der Stiegelmeyer-Gruppe
Der renommierte Compliance-Experte Dr. Carsten Thiel von Herff betreut ab sofort als Vertrauensanwalt die nationalen und internationalen Gesellschaften der Stiegelmeyer-Gruppe. Damit setzt unser Unternehmen die Vorgaben des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes um. Im Gespräch mit dem FORUM-Team erläutert der Bielefelder Anwalt seine Aufgaben, beschreibt typische Fälle und erklärt, wie potenzielle Hinweisgeber ihn kontaktieren können.
Herr Dr. Thiel von Herff, bitte stellen Sie sich kurz vor.
Ich arbeite seit über 20 Jahren als Rechtsanwalt und beschäftige mich seit 2009 mit dem Bereich Antikorruption, den man heute auch Compliance nennt. Ich kümmere mich um alles, was in einem Unternehmen nicht schiefgehen sollte und doch manchmal schiefgeht. Das sind nicht immer die großen Korruptionsfälle oder Absprachen mit Mitbewerbern, sondern sehr häufig Personalthemen. Ich habe darauf mehrere Perspektiven: zum einen als unabhängiger Ombudsmann und Vertrauensanwalt, zum anderen als Berater von Unternehmen in Fragen der Organisation oder bestimmter Fälle und Vorgänge. Meine Kanzlei in Bielefeld besteht aus zwei weiteren Anwälten und zwei Mitarbeiterinnen. Mein Team befasst sich auch mit Sportrecht. Wir betreuen Fußballclubs und die Fußball-Bundesliga – da treffen sich Beruf und Leidenschaft.
Wie kam es jetzt zu der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Stiegelmeyer-Gruppe?
Hintergrund ist die seit dem 1. Juli 2023 bestehende gesetzliche Pflicht, ein Hinweissystem einzuführen. Im Moment gilt das nur für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, zum Jahreswechsel wird diese Schwelle auf 50 Mitarbeiter gesenkt. Die Unternehmen können diese Aufgabe mit rein technischen Mitteln lösen, also z. B. mit einer elektronischen Meldeplattform. Doch Stiegelmeyer hat sich für einen Vertrauensanwalt als persönlichen Ansprechpartner entschieden. Aus meiner Sicht ist das natürlich die richtige Entscheidung (lacht).
Beruht das Hinweisgeberschutzgesetz auf europäischem oder deutschem Recht?
Grundlage ist eine EU-Richtlinie, die eigentlich schon 2021 hätte umgesetzt werden müssen. Der deutsche Gesetzgeber braucht aber oft mehr Zeit, um solche Vorgaben in nationales Recht zu gießen. Ich betreue als Vertrauensanwalt alle nationalen und internationalen Tochtergesellschaften der Stiegelmeyer-Gruppe. Mittlerweile gibt es in allen EU-Ländern entsprechende nationale Gesetze. So wie ich das Hinweisgebermanagement betreibe, erfüllen wir die gesetzlichen Anforderungen in all diesen Ländern. Unsere Kanzlei betreut aber Unternehmen auch weltweit und kümmert sich beispielsweise um Fälle in den USA, Russland oder China.
Welche Zwecke verfolgt das Hinweisgeberschutzgesetz?
Es ist eine Möglichkeit für Mitarbeiter und Externe, Hinweise auf potenzielle Verstöße in einem Unternehmen zu geben. Bei Verstößen kann es sich um Verletzungen von gesetzlichen und internen Regeln handeln, also z. B. des firmeneigenen Code of Conduct. Und gerade diese internen Regeln sind oft sehr weit gefasst – da geht es um Respekt, Toleranz, fairen Umgang. Neben den Hinweisen besteht zudem die Möglichkeit, einen Rat bei mir einzuholen. Wenn man unsicher ist, wie man sich in einem bestimmten Fall verhalten soll, kann ich mich mit meiner langjährigen Erfahrung oft in die Situation hineindenken und sagen: „Ich würde es so machen“ oder „Rechtlich müssen Sie Folgendes beachten“. Ausgeschlossen ist hingegen, dass ich einen Hinweisgeber selbst als Anwalt etwa in einem arbeitsrechtlichen Verfahren vertrete. Ich bleibe immer unabhängig und ein neutraler Vermittler.
Wie überwinden Sie in internationalen Fällen die Sprachbarriere, z. B. wenn eine lange Beschwerde auf Finnisch bei Ihnen eingeht?
Ich habe verschiedene Kanäle, über die Hinweise eingehen können. Die elektronische Plattform auf meiner Internetseite gibt es mittlerweile in über 30 Sprachen, da kann jeder problemlos einen Hinweis in seiner Muttersprache eingeben. Falls jemand telefonisch mit mir sprechen möchte, kann ich einen vereidigten Simultandolmetscher hinzuziehen. Dazu arbeite ich mit drei Übersetzungsbüros zusammen. Ich muss nur den Erstkontakt mit dem Hinweisgeber hinbekommen, um einen Termin mit dem Dolmetscher vereinbaren zu können. Das ist uns bisher immer gelungen – im Fall eines finnischen Anrufers könnte man sich wahrscheinlich kurz auf Englisch verständigen. Andererseits gibt es manchmal aber auch unvorhergesehene Herausforderungen: So kann es in Deutschland viel schwieriger sein, einen Übersetzer für Norwegisch zu organisieren als für Chinesisch, weil alle davon ausgehen, dass die Norweger sowieso Englisch können. Falls sich ein Stiegelmeyer-Mitarbeiter aus Polen bei uns meldet, steht in unserer Kanzlei ein Polnisch sprechender Kollege zur Verfügung.
Was für Hinweise gehen typischerweise bei Ihnen ein und wie reagieren Sie darauf?
Die Überschrift lautet bei mir immer: Kann ein Verstoß vorliegen und ist dieser Verstoß relevant? Wenn jemand anruft und sagt „Ich habe immer Ärger mit meiner Kollegin“, dann ist er vielleicht ein bisschen zu sensibel, es könnte aber auch systematisches Mobbing vorliegen. Die Frage für mich lautet: Ist der Hinweis „substantiiert“, also kann da etwas dran sein. Wenn mir ein knallharter Korruptionsfall mit Unterlagen gemeldet wird, habe ich von Anfang an Beweise, wenn es um einen Streit in der Teeküche geht, steht oft Aussage gegen Aussage. Und deshalb höre ich ganz genau zu. Ich hatte z. B. mal den Fall einer Mitarbeiterin, die sich darüber beschwerte, dass ihr Chef auf dem Parkplatz immer rückwärts einparkte, obwohl es nur vorwärts erlaubt war. Da habe ich erstmal vorsichtig gefragt: „Ist denn das so schlimm?“ Es zeigte sich dann, dass der Parkplatz nur die Spitze des Eisbergs war und sie sich über viel mehr geärgert hatte. Nichtdestotrotz führt längst nicht jede Meldung zu einem Hinweis, den ich zur Untersuchung an das Unternehmen weiterleite. Oft kann ich Fälle bereits durch ein Gespräch oder einen Ratschlag lösen.
Wie aber gehen Sie vor, wenn ein wirklich gravierender Hinweis vorliegt? Können Sie ein Beispiel nennen?
Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Ein Mitarbeiter meldet, dass seine Vorgesetzte regelmäßig zu hohe Reisekostenabrechnungen einreicht. Hier handelt es sich juristisch um einen Betrug. Diesen Hinweis würde ich an das Unternehmen weiterleiten und das Ergebnis am Ende dem Hinweisgeber mitteilen. Doch auf diesem Weg gibt es Hürden. Würde in unserem konkreten Fall die Chefin direkt mit dem Vorwurf konfrontiert, wüsste sie sofort, dass er von ihrem Mitarbeiter stammt. Eine meiner Hauptaufgaben besteht jedoch darin, die Identität des Hinweisgebers zu schützen. Daher würde ich den Hinweis nicht zur direkten Untersuchung weiterleiten, sondern als Sonderwissen in die nächste Regelprüfung des Unternehmens einspeisen. Als externer Anwalt mit Verschwiegenheitsprivileg kann ich das. Dann fällt der Betrug auf, wenn in mehreren Abteilungen die Reisekosten überprüft werden, ohne dass dem Unternehmen überhaupt bewusst wird, dass es einen konkreten Hinweis gegeben hat.
Gibt es Straftaten, die so schwer wiegen, dass Sie selbst nach einem Hinweis Anzeige erstatten müssten?
Tatsächlich gibt es einen solchen Katalog der schweren Straftaten, bei denen jeder Bürger eine Anzeigepflicht hätte. Dazu zählen z. B. ein geplanter Mord oder die Anzettelung eines Angriffskrieges. So etwas kommt in der Praxis – zum Glück – kaum jemals vor. Ansonsten steht es immer im freien Ermessen des Unternehmens, eine Anzeige zu erstatten. Bei Betrugs- oder Untreuefällen tendiere ich dazu, von einer Anzeige erstmal abzuraten und eine Einigung mit dem Mitarbeiter anzustreben. Es gibt auch Fälle, in denen ich feststelle, dass der Hinweisgeber sich selbst strafbar gemacht hat. Da lasse ich niemanden ins offene Messer laufen, sondern kläre darüber auf und sage: „Schlafen Sie eine Nacht darüber und entscheiden Sie dann, ob ich den Hinweis wirklich weitergeben soll.“ Das ist ganz wichtig: Ich bin für Hinweisgeber ein sicherer Hafen. Man kann sich bedenkenlos und vertrauensvoll an mich wenden. Ich bin auf keinen Fall ein „Spion“ des Unternehmens, der irgendetwas „verpetzt“. Wäre das der Fall, könnte ich meinen Laden morgen dicht machen.
Sie haben bereits von den vielen Kanälen gesprochen, über die Sie erreichbar sind. Wie sollte ein Mitarbeiter oder Externer idealerweise vorgehen, um sich an Sie zu wenden?
Wir veröffentlichen auf unserer Internetseite all unsere Kontaktdaten. Der potenzielle Hinweisgeber kann sich aussuchen, wie er mich kontaktiert. Wir haben ein Online-Portal, das ist ein sehr einfach gehaltenes Formular, in dem man seinen Hinweis eintippen kann. Ich erhalte dann eine Benachrichtigung und schaue mir die Meldung an. Ebenso kann man mir eine direkte E-Mail, ein Fax oder einen Brief schicken. Man kann mich anrufen und auch ein persönliches Gespräch an einem neutralen Ort vereinbaren, z. B. in einem Café. Aus Deutschland bekomme ich in erster Linie Anrufe.
Kann man sich bei Ihnen anonym melden?
Ja. Der Gesetzgeber hatte das zunächst nicht vorgesehen, ist von dieser praxisfernen Einschränkung aber zum Glück wieder abgerückt. Hinweisgeber können mein Portal nutzen, ohne ihren Namen zu nennen. Sie erhalten eine Zugangsnummer, mit deren Hilfe sie auch weiterhin anonym mit mir kommunizieren können. Ebenso kann man mir einen anonymen Brief schreiben oder mit unterdrückter Telefonnummer anrufen. Das passiert sogar sehr oft. Die Leute rufen an und sagen: „Ich vertraue Ihnen zwar, möchte aber trotzdem meinen Namen nicht nennen.“ Nach zehn Minuten sagen sie ihn dann häufig doch, aber das muss nicht sein. Nochmal zusammengefasst: Hinweisgeber können mich flexibel nach ihren Wünschen kontaktieren, und ich antworte schnellstmöglich auf ihrem Kanal.
Nach fast 15 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Compliance und rund 7.000 Hinweisen sind Sie auch ein Chronist der Befindlichkeit im Wirtschaftsleben. Gibt es da einen Trend nach oben oder unten?
Die Unternehmen sind im Umgang mit Mitarbeitern und Compliance-Themen viel besser geworden. Das liegt zum einen am Druck des Gesetzgebers, aber zum anderen schätzen viele die Chancen eines persönlichen Hinweismanagements. Wenn ein Mitarbeiter mir eine echte Straftat meldet, kann sich das Unternehmen in Ruhe darum kümmern, statt sofort mit einem Ermittlungsverfahren umgehen zu müssen. Wenn eine Firma eine neue Arbeitsrichtlinie veröffentlicht und in einer Woche gehen dazu fünf Anfragen bei mir ein, könnte hier eine Fehlentwicklung vorliegen, die sich leicht korrigieren lässt. Und schließlich sind heute alle auf der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern und möchten sich nach außen attraktiv präsentieren. Wenn es Unzufriedenheit und Sorgen gibt, kann ich durch ein persönliches Gespräch viel auffangen und befrieden. Statt eine negative Online-Bewertung abzugeben, geht der Mitarbeiter dann hoffentlich besser gelaunt ins Wochenende und erzählt seinen Freunden: „Ich habe einen guten Arbeitgeber.“
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Mehr über die Kanzlei im Internet: www.thielvonherff.de
Link zum Online-Portal: report-tvh.com