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12. November 2020
// Reportagen & Berichte

Wenn das Bett mit dem Fahrstuhl spricht

Meik Eusterholz über die großen Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Wer zurzeit in einem Krankenhaus-Fachmagazin blättert, stößt sofort auf ein großes Wehklagen: Die Digitalisierung in deutschen Kliniken und Heimen bleibe meilenweit hinter den technischen Möglichkeiten zurück, wichtige Zukunftsthemen würden verschlafen. Zugleich sehen die Hersteller von Medizinprodukten zwar das große Potenzial der neuen Technik, stellen aber in vielen Bereichen fest, dass der Markt für digitale Produkte noch in den Kinderschuhen steckt. Stiegelmeyer hat mit dem neuen „Connectivity Lab“ in Herford eine ideale Umgebung für die Entwicklung vernetzter Betten geschaffen. Über die Erfolgschancen dieses Projektes sprachen wir mit Meik Eusterholz. Er arbeitet als Geschäftsfeldleiter Gesundheitswirtschaft bei UNITY, einer renommierten Managementberatung für Digitalisierung.

Im Patientenzimmer der Zukunft sieht Herr Eusterholz eine wichtige Rolle für digitale Betten. „Sowohl in der Industrie als auch im privaten Bereich kommunizieren die Dinge miteinander, das ist die Zukunft“, erklärt er. „Auch Krankenhausbetten werden mit den digitalen Systemen ringsherum kommunizieren. UNITY hat zum Beispiel die IT- und Kommunikationsinfrastruktur für ein Luxemburger Krankenhaus geplant. Wir haben Konzepte entwickelt, wie das Bett im Zimmer erkennt, dass seine Rolle in vier Wochen defekt sein wird. Das Bett fordert selbstständig beim Lieferanten eine neue Rolle und bei einem anderen Service einen Monteur an. Zuvor hat es im Kalender des Krankenhausinformationssystems geprüft, wann es nicht belegt ist, um so den optimalen Termin für die Wartung zu ermitteln. Am Ende wird das Bett repariert, ohne dass eine Pflegekraft sich damit befassen musste.“

Unverzichtbare Technologie

Dies sei keine Zukunftsvision, sondern Logistik-Technik, die in vielen Industriebereichen schon selbstverständlich sei. Auch wer ein modernes Auto fährt, weiß, was Räder und Rücklichter alles melden können. Die Entwicklung einer solchen künstlichen Intelligenz bedeutet aber natürlich auch, dass viele vormals einfache mechanische Komponenten eines Produktes nun mit Sensoren ausgerüstet werden müssen und dadurch die Komplexität und der Preis des Produktes steigen. Sind Krankenhäuser und Pflegeheime zu einer solchen Investition bereit?

„Ich glaube, die Krankenhäuser können es sich nicht mehr leisten, auf diese Technologien zu verzichten“, sagt Meik Eusterholz. „Diejenigen Häuser unter den ca. 1.900 deutschen Kliniken, die weiterhin nur analog unterwegs sind, werden nicht überleben – allein schon deshalb, weil sie den Qualitätsansprüchen nicht mehr genügen. Mithilfe moderner Technologie lassen sich die Arbeit und der Therapieverlauf besser organisieren.“ Hinzu komme das Krankenhauszukunftsgesetz, das den Kliniken 4,3 Milliarden Euro Förderung für digitale Projekte beschert: „Wir merken an den vielen Anfragen bereits das große Interesse der Häuser“, so Herr Eusterholz.

Wohin fließt die staatliche Förderung?

In welche Bereiche werden die Milliarden des Staates fließen? „Viele Notaufnahmen werden modernisiert werden“, erklärt der Experte. „Wichtig ist auch das Thema Medikationsmanagement, denn hier passieren noch viel zu viele Fehler. Digitale Dokumentation, Bürokratieabbau und Entscheidungsunterstützung werden den Häusern ebenfalls helfen.“

Vor allem im ländlichen Raum müsse in vielen Kliniken überhaupt erst eine IT-Infrastruktur aufgebaut werden, zum Beispiel durch WLAN-Versorgung aller Zimmer. Die Corona-Pandemie habe zudem offengelegt, dass viele Häuser technisch nicht in der Lage seien, ihre Verwaltungsmitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Von besonderem Interesse in der Corona-Zeit sei auch ein krankenhausübergreifendes Bettenmanagement: „Damit könnten die Behörden sehen, wo Betten auf den Intensivstationen frei oder belegt sind, und wann sie wieder frei werden.“

Auch innerhalb des Krankenhauses kann ein digitales Bettenmanagement für große Entlastung sorgen. „Der Rettungswagen könnte bereits während der Fahrt ein Bett für das Belegungsmanagement reservieren und dabei die mittlere Verweildauer von Patienten mit dem jeweiligen Krankheitsbild angeben. Das würde dem Personal dabei helfen, rechtzeitig die Verlegung des Patienten auf eine andere Station zu planen. Es ist im Moment ein Riesenthema, dass Patienten viel zu lange in der Notaufnahme liegen, weil wegen organisatorischer Probleme kein Bett für sie frei ist.“

Höhere Belegung, kürzere Verweildauer

Ein modernes Bettenmanagement sei auch deshalb unverzichtbar, weil durch den geplanten Abbau von Krankenhausbetten die Belegungsquote in den Häusern steigen und durch kürzere Verweildauern ein schnellerer Patientenwechsel in den Betten stattfinden werde. „Die Komplexität pro Bett wird höher“, sagt Herr Eusterholz.

Wenn das digitale Krankenhaussystem hingegen genau wisse, welcher Patient in welchem Bett liege, könnten in Zukunft sogar Fehler in der Medikation vermieden werden. „Wenn Ärzte oder Pflegekräfte sich mit Medikamenten dem Bett nähern, wird durch Ortung die Authentifizierung von Personal und Patient und die Identifikation des Medikaments automatisch sichergestellt. Das reduziert die Fehleranfälligkeit des Prozesses, da im Hintergrund Prüf- und Dokumentationsprozesse ausgeführt werden. Bei Pharmaherstellern und in Apotheken wird bereits heute dafür gesorgt, dass gewisse Medikamente geortet werden können.“ Genutzt würden dabei chemische Prozesse: „Es gibt zum Beispiel Psychopharmaka, die mit einem Sensor ausgestattet sind. Kommt dieser nach der Einnahme mit Magensäure in Kontakt sendet er einen elektrischen Impuls aus.“

Hygiene ist im Krankenhaus eine Top-Priorität, seit Corona mehr denn je. Auch hier sieht Meik Eusterholz Vorteile für digitale Betten: „Gerade wenn Betten lange auf dem Flur warten, weil der Reinigungsdienst sie noch nicht abgeholt hat oder das Zimmer gerade besetzt ist, kann ein Hygieneproblem entstehen. Dann könnte das Bett melden: Achtung, ich bin jetzt nicht mehr sauber. Oder: Macht einen Bogen um mich, mein letzter Patient war infektiös.“ Befinde sich das Bett dann im Reinigungsprozess, könne es melden: „Ich stehe in zwölf Minuten wieder zur Verfügung.“ All diese Informationen würden im Moment oft telefonisch mitgeteilt und kosteten sehr viel Zeit.

Berührungen reduzieren

Wenn der Therapieplan eines Patienten komplett digital hinterlegt sei, könne das Bett sogar dem Fahrstuhl mitteilen, in welches Stockwerk er fahren soll. „Der Vorteil ist: Der Fahrstuhlknopf muss nicht mehr berührt werden“, erklärt Herr Eusterholz. „Es ist dramatisch, dass man an manchen Autoraststätten weniger anfassen muss als im Krankenhaus. Wenn ich mir als Patient ein Haus aussuchen muss, achte ich genau auf solche Dinge.“

Die Arbeit mit digitalen Geräten und Systemen ist längst nicht für jeden Menschen selbstverständlich. Im Gesundheitswesen kommen Mitarbeiter mit unterschiedlichem Alter, Bildungsgrad und Sprachverständnis zusammen. „Das ist kein Problem, wenn ich den Menschen Zeit gebe, die neue Technik kennenzulernen, und sie weiterbilde. Gerade die Schulungsmodule, die zu einem neuen Produkt gehören, werden aber oft aus Kostengründen oder Zeitmangel gestrichen. Das ist der falsche Ansatz. Das Personal im Gesundheitswesen gleicht manchmal Waldarbeitern, die mit stumpfen Sägen pausenlos Bäume fällen müssen und keine Zeit haben, das Sägeblatt zu schärfen. Irgendwann muss ich anfangen, die Probleme zu lösen, um mit neuen Systemen schließlich mehr Zeit zu gewinnen.“

Probleme mit digitalen Ideen zu lösen – das ist auch das Ziel im Herforder Connectivity Lab von Stiegelmeyer. Wir freuen uns auf die Arbeit dort und sind gespannt, welches Feedback uns Kunden und Besucher geben werden. Mit voller Energie werden wir daran mitwirken, dass die Klage über die schleppende Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen schon bald endet.

 

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