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26. Oktober 2017
// Reportagen & Berichte

„Die Pflegeberufe werden attraktiver“

Prof. Dr. Volker Großkopf begrüßt das neue Gesetz zur Pflegeausbildung

Im Juni hat die Große Koalition im Bundestag die Reform der Pflegeausbildung beschlossen – nach erbitterten Diskussionen. Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, die bisher getrennten Bereiche Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege zu einer generalistischen Ausbildung zu vereinen. Prof. Dr. Volker Großkopf, Dozent an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und Herausgeber der Fachzeitschrift „Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen“, hat sich intensiv mit dem Gesetz befasst.

Herr Prof. Dr. Großkopf, müssen angehende Altenpfleger oder Krankenpflegerinnen bald dreimal so viel Stoff lernen wie zuvor?

Mit Sicherheit nicht. Schon als das Altenpflegegesetz 2003 zum Bundesgesetz wurde, hat man die Altenpflege an die Krankenpflege angenähert. Ein Grund war, dass die Klientel im Altenheim nicht mehr der Klientel wie von vor 30 Jahren entspricht. Früher stand im Bereich der Altenpflege der psychosoziale Kontakt im Vordergrund. Heute gehen viele Menschen erst in ihrer letzten Lebensphase ins Altenheim, die durchschnittliche Verweildauer liegt bei sechs Monaten. Daher ist neben der Grundpflege zunehmend auch eine hochspezialisierte Behandlungspflege wie im Krankenhaus gefordert. Das neue Pflegeberufsgesetz spiegelt also wider, was sich seit Jahren bereits angebahnt hat.

Gab es denn bisher trotzdem Unterschiede in den Ausbildungsgängen?

Wie bereits gesagt, standen bislang in der Altenpflege die Grundpflege und der psychosoziale Kontakt stärker im Vordergrund. Des Weiteren waren die Demenzbetreuung und die Polypharmazie, also der gleichzeitige Einsatz von mehreren Medikamenten, Inhalte der Altenpflegeausbildung.

Fällt der psychosoziale Kontakt in Zukunft unter den Tisch?

Nein, das sicherlich nicht. Auszubildende können sich im dritten Jahr weiterhin auf dieses Gebiet der Altenpflege spezialisieren – ein Kompromiss, den ich allerdings persönlich nicht zielführend finde. Hiermit wird das angestrebte Ziel der Zusammenführung der drei Berufsgruppen und die Möglichkeit zwischen den Sektoren problemlos zu wechseln leider verwässert.

Viele Altenheime müssen auf Hilfskräfte und Quereinsteiger zurückgreifen. Wird das durch das neue Gesetz schwieriger?

Nein, dieser Punkt hängt weiterhin von den Wohn- und Teilhabegesetzen der Länder ab, die in der Regel eine 50-prozentige Fachkraftquote fordern. Wichtig für die Altenheime ist nur, dass sie eine genaue Aufgabenbeschreibung vornehmen müssen, damit die Quereinsteiger keine pflegefachlichen Tätigkeiten übernehmen – sonst gäbe es ein haftungsrechtliches Problem.

Das Pflegeberufsgesetz stößt auf eine Welle der Kritik. Einige Verbände prophezeien den Kollaps der Altenpflege. Was sind die Argumente der Kritiker?

Sie befürchten, dass die Pflegekräfte infolge der Generalistik aus den Altenheimen in die Krankenhäuser abwandern und somit der Altenpflegebereich ausblutet. Diese Gefahr besteht aber ohnehin bereits, weil viele Mitarbeiter in den Altenheimen mit den Jahren körperlich überfordert sind und dann die Pflege komplett verlassen. Deshalb finde ich es eher positiv, dass man mit der generalistischen Ausbildung den Beschäftigten die Möglichkeit gibt, ggf. den Bereich zu wechseln, sodass diese der Pflege weiter erhalten bleiben. Schlussendlich müssen aber auch die Gehälter in der Altenpflege auf das Niveau der Krankenpflege angehoben werden, wenn das Personal in diesem Bereich gehalten werden soll.

Einige Kritiker bemängeln, die neue Ausbildung sei so anspruchsvoll, dass Interessenten mit niedrigen Bildungsabschlüssen abgeschreckt würden. Sehen Sie das auch so?

Nein, wenn man sich die dreijährige Ausbildung nicht zutraut, kann man mit der einjährigen Ausbildung zum Pflegehelfer beginnen und sich langsam in den Beruf hineinarbeiten.

Nach den ersten beiden Jahren der neuen Ausbildung kann man sich demnächst auf Wunsch im dritten Jahr auf einem Gebiet spezialisieren. Steht das nicht im Widerspruch zur angestrebten Generalistik?

Absolut. Es läuft ja ab 2018 erstmal eine Testphase über sechs Jahre an. Danach will man schauen, wie bei der Spezialisierung die Verteilung aussieht. Wenn ich mich für eine Pflegeausbildung entscheiden würde, dann würde ich immer nur die Generalistik wählen, um am Arbeitsmarkt flexibel zu sein. Höchstens die Spezialisierung auf die Kinderkrankenpflege macht Sinn, wenn man definitiv nur mit Kindern umgehen möchte.

Kann man mit einer Spezialisierung zum Altenpfleger dennoch später im Krankenhaus arbeiten oder ist der Wechsel dadurch ausgeschlossen?

Das wird sich zeigen. Aber ich glaube schon, dass die Spezialisierung eine Vorentscheidung ist und dass die Verantwortlichen in der Altenpflege das auch so wünschen, um die Abwanderung zu verhindern. Rein rechtlich betrachtet werden aber wohl auch spezialisierte Altenpflegekräfte im Krankenhaus arbeiten dürfen, wie dies derzeit ja auch schon der Fall ist.

Warum wurde die Spezialisierung dennoch beschlossen?

Das war ein notwendiger Kompromiss, den die Regierung schließen musste, um das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschieden zu können. Das war ein wichtiger Schritt, denn neben der Generalistik enthält das Reformvorhaben noch viele weitere, sehr positive Aspekte, die in der öffentlichen Debatte bislang zu kurz geraten sind und die andernfalls auf der Strecke geblieben wären.

Welche sind das?

Erstmals sind in einem deutschen Pflegegesetz Vorbehaltsaufgaben definiert worden, die nur von Pflegekräften mit der entsprechenden Qualifikation erledigt werden dürfen. Dadurch wird der Stellenwert der Pflege deutlich gesteigert. Nun heißt es nicht mehr: Pflege kann jeder! Positiv finde ich auch, dass man die Heilkundeübertragungsrichtlinie in das Gesetz eingebunden hat. Diese Richtlinie definiert eine Reihe von ärztlichen Tätigkeiten, die Pflegekräfte eigenverantwortlich durchführen dürfen, zum Beispiel die Wundtherapie.

Das neue Pflegeberufsgesetz sieht als akademische Ausbildungsalternative auch ein Pflegestudium vor. Was halten Sie davon?

Ich finde es sehr gut, dass Deutschland jetzt mit fast allen anderen EU-Staaten gleichzieht und eine primärqualifizierende akademische Pflegeausbildung einführt. Endlich können Abiturienten nach der Schule sagen: Ich möchte Pflege studieren. In Großbritannien oder vielen anderen Mitgliedstaaten der EU sowie den USA sind solche „Advanced Nurse Practitioners“ längst üblich.

Gibt es Befürchtungen, dass studierte Pflegekräfte demnächst für weniger Gehalt die Ärzte ersetzen?

Ärztliche Aufgaben werden schon heute am laufenden Band an Pflegekräfte delegiert, sonst würde alles zusammenbrechen. Aber darum geht es im neuen Pflegestudium nicht. Die akademischen Pflegekräfte sollen komplexe Pflegeprozesse organisieren und die Weiterentwicklung der Pflegewissenschaft vorantreiben. Zurzeit gibt es dafür allerdings noch viel zu wenige Studienplätze.

Glauben Sie, dass Pflege in Deutschland in einigen Jahrzehnten noch allein von Menschen geleistet werden kann? Oder müssen wir viel stärker auf Technik zurückgreifen?

Um die Pflege der geburtenstarken Jahrgänge zu meistern, spielen zwei Aspekte eine wichtige Rolle. Zum einen hoffe ich, dass man in 20 Jahren Krankheitsbilder wie die Demenz, die mit einem hohen Pflegebedarf einhergehen, mittels der Pharmazie besser im Griff haben wird. Zum anderen werden technische Hilfsmittel immer wichtiger – vielleicht sollten Sie als Bettenhersteller über Betten nachdenken, die dekubitusgefährdete Patienten selbstständig umlagern. Wir werden uns noch größeren Herausforderungen stellen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Christoph Prevezanos und Manuel Jennen

Prof. Dr. Volker Großkopf übernahm im Jahr 2001 den Lehrstuhl für Rechtswissenschaften im Fachbereich Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Köln. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die haftungsrechtliche Problemstellung des Pflegepersonals. 2003 gründete er gemeinsam mit Michael Schanz den G&S Verlag GbR, in dem das gesundheitsrechtliche Fachmagazin „Rechtsdepesche“ herausgegeben wird.

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