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13. Februar 2020
// Reportagen & Berichte

Arbeit mit Liebe, Stolz und Begeisterung

In den Werkstätten der Lebenshilfe Herford e. V. leisten die Menschen Erstaunliches

Wer heutzutage ein Alltags-Produkt wie z. B. eine Rolle Klebefilm in die Hand nimmt, macht sich kaum Gedanken über dessen Herkunft. Allenfalls denkt man an Fließbänder, Roboter und automatisierte Prozesse. Vielleicht stecken aber ganz viel Liebe und Stolz im Klebefilm. Denn er wurde per Hand mit großer Sorgfalt in seinen Abreiß-Spender gesteckt – in der Werkstatt der Lebenshilfe Herford e. V. an der Ackerstraße, gegenüber der Stiegelmeyer-Verwaltung.

In dem großen, freundlichen Saal sitzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teams konzentriert und gut gelaunt bei der Arbeit. Sie zählen kleine Montageteile ab, stecken sie in Kunststoffbeutel und verschließen die Beutel mit routinierten Handgriffen. Oder sie ziehen Reifen auf die Räder von Rollatoren – mit einer modernen Maschine, die Heilerziehungspfleger Philipp Fischer selbst mit seinem Team gebaut hat. Die Arbeit mit Maschinen macht allen Spaß. Ebenso großen Spaß machen aber auch die Pausen – als das Signal zum Mittagessen ertönt, leert sich der Raum schneller als der Wind.

Teilhabe am Alltag und ein erfülltes Leben für Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen sind die Ziele der Lebenshilfe Herford. 300 Mitglieder zählt der Verein, der eine eindrucksvolle Vielfalt an Werkstätten, Wohnhäusern, Beratungsstellen und vielem mehr betreibt. Geschäftsführer Stephan Steuernagel und Werkstattleiter Wolfgang Rox haben einen Übersichtsplan der Einrichtungen und Angebote mitgebracht, der Gesprächsstoff für viele Tage bieten würde.

650 Beschäftige in vier Werkstätten

Vier Werkstätten betreibt die Herforder Lebenshilfe, zwei für Menschen mit geistiger Behinderung und zwei für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Rund 650 Beschäftigte sind hier tätig. Sie haben einen Anspruch auf Teilhabe an Arbeit und sind in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis angestellt. Sie können z. B. nicht gekündigt werden, falls keine Selbst- oder Fremdgefährdung besteht, und sind nicht an Mindestlohn-Regelungen gebunden. 160 Menschen leben in Wohnheimen der Lebenshilfe, 45 weitere Klienten werden im ambulant unterstützten Wohnen betreut. 600 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt die Lebenshilfe, viele davon in Teilzeit.

„Keiner ist wie der andere“, sagt Stephan Steuernagel über seine Beschäftigten. In den Werkstätten arbeiten Schwerstmehrfachbehinderte, Menschen mit Down-Syndrom oder Autisten. Einige Menschen benötigen während der Arbeitszeit umfassende Pflege, andere können aufgrund chronischer psychischer Erkrankungen nur drei Stunden pro Tag arbeiten, verfügen aber über beachtliche intellektuelle Fähigkeiten und können Computer bedienen und Schreibaufgaben übernehmen.

Spiegel medizinischer Entwicklungen

Der medizinische Fortschritt spiegelt sich bei der Lebenshilfe wider. So seien heute viel mehr Menschen mit Autismus in den Werkstätten beschäftigt als früher, weil die Krankheit durch bessere Diagnosemöglichkeiten häufiger erkannt werde und den Menschen geholfen werden könne, erklärt Herr Steuernagel.

Für jeden die richtige Arbeit zu finden, ist eine tägliche Herausforderung – denn die Werkstätten erledigen in der Regel zeitlich befristete Aufträge für Industrieunternehmen und müssen sich alle paar Wochen oder sogar Tage neu organisieren. Wirtschaftliche Entwicklungen wie die schwache Konjunktur im vergangenen Jahr wirken sich dabei unmittelbar aus. Es sei schwerer geworden, Aufträge einzuholen, berichtet Wolfgang Rox.

Dennoch gibt es ein reiches Angebot verschiedener Tätigkeiten. „Hauptbranchen sind Montage und Verpackung“, erklärt Herr Rox. „Etwa die Hälfte unserer 650 Beschäftigten erledigt Montagearbeiten, mit der Hand oder mit hydraulischen oder pneumatischen Vorrichtungen. Zum Bereich Verpackung gehört z. B. das Falten und Kleben von Werbedisplays oder das kreuzweise Zusammenstecken von Pappen zu Fächern, in denen die Medizinindustrie Reagenzgläser ausliefert.“

Arbeit an der frischen Luft

Weiterhin gibt es eine Fachabteilung Holz für Schreinerarbeiten und zwei Metallwerkstätten. Wer sich an der frischen Luft körperlich betätigen möchte, kann in der Abteilung Garten- und Landschaftsbau mitarbeiten. Heckenschneiden, Rasenmähen und Parkplatzreinigung für Firmenkunden gehören ebenso zu den Aufgaben wie die Pflege aller 28 Regenrückhaltebecken in Herford.

Um für diese Angebote bei den Kunden zu werben, nutzt die Lebenshilfe modernes Online-Marketing und Messeauftritte. Auch Stiegelmeyer pflegt eine lange Beziehung zur Lebenshilfe, nicht nur in Herford, sondern auch in unserer Holzproduktion in Nordhausen.

Alle sind sich einig, dass die Lebenshilfe zu den attraktivsten Arbeitgebern im Pflege- und Gesundheitsbereich gehört. Als besonders positiv empfinden es die Mitarbeiter, dass sie ihre Klienten oft eine sehr lange Zeit lang begleiten dürfen – manche Lebensläufe behinderter Menschen sind buchstäblich von der Geburt bis zum Tod mit der Lebenshilfe verknüpft. Philipp Fischer, der die Rollator-Reifen-Maschine erfunden hat, liebt seinen Beruf: „Hier gibt es so viel Begeisterung“, sagt er.

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